Krieg und Heimat
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Irak
Bernd Lemke Kulturkontakt im Krieg Der Luftwaffen-Einsatz Irak 1941 und seine Diskussion nach 1945 Zweiter Teil Der erste Teil auf der vorigen Unterseite.
Der    Einsatz    der    Araber,    die    sich    dauerhaft    in    die    Truppe    eingliederten,    wurde    von    den ehemaligen   deutschen   Kommandeuren   ex-post   meist   positiv   bewertet,   so   insbesondere   in einer   Studie   ehemaliger   Protagonisten   für   die   US   Historical   Division   Mitte   der   fünfziger   Jahre. Ihre   Disziplin   und   Kampfkraft   seien   auch   in   kritischer   Situation   mehr   als   anerkennungswürdig gewesen. Im    Gesamturteil    jedoch    finden    sich    überaus    negative    Einschätzungen,    die    nicht    nur    eine massive   kulturelle   Distanz,   sondern   auch   das   Vorhandensein   stereotyper   Pauschalurteile   mit teils      radikalen      Wertungen      zeigen.      Es      wird      eine      der      zentralen      methodischen Herausforderungen   der   Zukunft   sein,   hier   zwischen   Vorstellung   und   Realität   zu   unterscheiden. Keinesfalls   darf   indes   der   Betrachter   vorschnell   der   einen   oder   anderen   Seite   zuneigen.   Die historischen    Urteile    der    Protagonisten,    die    integraler    Bestandteil    des    NS-Kriegsapparates waren,   sind   erst   eingehend   anhand   weiterer   Quellen   zu   prüfen,   bevor   eine   abschließende Bewertung stattfinden kann. Zu     den     größten     Problemen     zählte     u.a.,     dass     die     deutschen     Einheiten     erhebliche Schwierigkeiten    bei    der    Ausbildung    und    der    Verwendung    ihrer    Freiwilligen    hatten.    Die rekrutierten   Araber   waren   unterschiedlicher   Konfession   und   trugen   die   damit   verbundenen Auseinandersetzungen    und    Kämpfe    nicht    selten    in    ihren    Einheiten    aus.    Dazu    kam    ihr Ehrenkodex,   der   sich   teils   überhaupt   nicht   mit   den   disziplinarischen   Grundvorstellungen   der Wehrmacht   vertrug   und   sich   auch   in   offener   Gewalt   äußerte.   Ein   Gutteil   der   Rekrutierten scherte   aus   und   verließ   die   Wehrmacht.   Die   rigorosen   Ausbildungsstandards   der   Wehrmacht erreichten vielfach keine wirkliche Disziplinierung. Auch   reichten   die   Rivalitäten   zwischen   den   arabischen   Führern   im   Berliner   Exil   bis   in   die Verbände   hinein.   Weiterhin   spielten   die   arabischen   Unterführer,   die   man   als   Kommandeure spezieller   Trupps   vorgesehen   hatte,   ihr   eigenes   Spiel,   dies   zumal   unter   Ausnutzung   ihrer ausgezeichneten Verbindungen zu den irakischen Stämmen. Völlig   unausgesprochen   blieb,   dass   die   Einsatzplanung,   so   wie   man   sie   vornahm,   im   Kleinen wie    im    Großen    letztlich    keineswegs    eine    Förderung    der    arabischen    Nationalbewegung beinhaltete,   sondern   einen   rohen   Eroberungs-   und   Vernichtungsfeldzug   deutscher   Couleur. Erst   im   Nachhinein,   verwies   Warlimont   in   einer   Studie   für   die   US   Historical   Division   im   Jahre 1955   darauf,   dass   die   einzige   wirkliche   Gemeinsamkeit   zwischen   Deutschen   und   Arabern   der radikale   Antisemitismus   gewesen   sei.   Dem   entsprach   auch,   dass   im   Gefolge   von   Rommels Afrikakorps   bereits   eine   Einsatzgruppe   der   SS   zur   Tötung   der   im   Orient   ansässigen   Juden gebildet     worden     war.     Bei     einem     Erfolg     wäre     es     zur     Errichtung     einer     deutschen Besatzungsherrschaft nach bekanntem Muster und zur Ausrottung der Juden gekommen. Man   braucht   nicht   viel   Phantasie,   um   sich   vorzustellen,   dass   die   arabische   und   kurdische Bevölkerung    unter    diesen    Bedingungen    nicht    lange    sympathisch    geblieben    wäre.    Neue Aufstände,   diesmal   gegen   die   deutsche   Herrschaft,   wären   vorprogrammiert   gewesen,   deren Niederschlagung   nicht   mit   Zeppelinen   vorgenommen   worden   wären,   sondern   mit   Stukas.   In dieser    Konstellation    wäre    dann    sehr    wahrscheinlich    auch    Junck    wieder    zum    Einsatz gekommen.   Dessen   Opposition   gegen   das   Abenteuer   von   1941   speiste   sich   nämlich   nicht   aus grundsätzlichen    Erwägungen,   sondern   vor   allem   gegen   die   seiner   Ansicht   nach   dilettantische Durchführung, die gegen sein Ethos als professioneller Soldat verstieß. Von    diesen    Grundpositionen    und    Defiziten    aus    wurde    die    Auseinandersetzung    um    die Aufarbeitung    der    Geschehnisse    fortgesetzt.    Felmy    erstellte    im    Dienste    der    US    Historical Division   zusammen   mit   dem   ehemaligen   Generalmajor   Warlimont   die   bereits   erwähnte   Studie unter   dem   Titel   „Die   deutsche   Ausnutzung   der   arabischen   Eingeborenenbewegung   im   zweiten Weltkrieg“.    Hier    wurden    vor    allem    die    operativen    und    taktischen    Sachverhalte    behandelt. Ferner   enthielt   die   Ausarbeitung   auch   kurze   Ausführungen   zum   ‚Charakter’   der   Araber   und Kurden   sowie   eine   knappe   Darstellung   des   Luftwaffeneinsatzes   von   1941.   Grobba   seinerseits verfasste   gewissermaßen   als   Antwort   darauf   ein   „Supplement“,   in   der   er   seine,   konträre   Sicht der    Dinge    darlegte.    Für    ihn    hatten    Unfähigkeit    und    Zögerlichkeit    vor    allem    auch    im Auswärtigen Amt eine große Chance für einen Sieg gegen das Empire zunichte gemacht. Junck,    dem    von    Grobba    und    auch    von    Teilen    der    Luftwaffengeneralität    der    Vorwurf    der „Feigheit“    gemacht    wurde    und    dem    man    auch    weiterhin    zu    Last    legte,    eine    „glänzende Chance“   deutscher   Einflussnahme   zunichte   gemacht   zu   haben,   verwand   die   Angriffe   bis   zu seinem   Tode   im   Jahre   1976   nicht   und   stellte   umfangreiche   Nachforschungen   an.   Unterstützt wurde   er   dabei   von   Kohlhaas.   Pikanterweise   hatten   er   und   andere   seinerzeit   ein   Schreiben von   Grobba   mitgezeichnet,   das   alle   Schuld   auf   Junck   abwälzen   sollte.   Dafür   entschuldigte   er sich   in   mehreren   Schreiben   an   Junck,   versicherte   ihm   seine   besten   Absichten   und   zeigte   in der   Folge   auch   dauerhafte   Loyalität.   Das   mentale   Zusammengehörigkeits-   und   Treuegefühl wirkte auch nach 1945 ungebrochen weiter. Die   Sache   blieb   bis   zum   Tode   aller   Beteiligten   ein   Dauerthema,   das   auch   in   der   Öffentlichkeit wahrgenommen   wurde.   Grobba   veröffentlichte   im   Jahre   1967   seine   Sicht   der   Dinge   unter   dem Titel    „Männer    und    Mächte    im    Orient“,    wo    er    insbesondere    sein    angeblich    harmonisches Verhältnis   mit   den   arabischen   Führern,   auch   den   Militärs,   betonte   und   die   Vorwürfe   an   Junck aufrechterhielt.   Auf   der   Gegenseite   trat   vor   allem   Kohlhaas   auf   den   Plan,   der   eine   Rezension über   Grobbas   Buch   verfasste   und   den   Militärgeschichtlichen   Mitteilungen   anbot.   Es   spricht   für die Objektivität des MGFA bereits in diesen Tagen, dass der Text nicht veröffentlicht wurde. Die   ganze   Debatte,   die   hinter   den   Kulissen   auch   von   ehemals   hochrangigen   Diplomaten   und Militärs   verfolgt   und   mitgeführt   wurde,   artete   schließlich   in   eine   regelrechte   Schlammschlacht aus.   Grobba,   der   sich   selbst   wieder   aktiv   in   die   Außenpolitik   einschalten   wollte   und   offenbar auch   wieder   nach   Bagdad   reiste,   wurde   von   den   Parteigängern   Juncks   fortgesetzt   angegriffen und   auch   denunziert.   Eine   besondere   Rolle   spielte   dabei   das   Schicksal   des   Majors   Axel   von Blomberg, einem Sohn des ehemaligen Kriegsministers Werner von Blomberg.
Dieser   hatte   sich   für   das   Unternehmen   freiwillig   gemeldet   und   flog   am   12.   Mai   1941   nach Bagdad.   Dort   drehte   er   eine   Platzrunde,   wurde   dabei   aber   von   einem   Geschoss   tödlich   am Kopf   verwundet.   Grobba   behauptet,   britische   Flieger   seien   dafür   verantwortlich   gewesen. Junck,    Kohlhaas    und    andere    verwiesen    darauf,    dass    ungezügeltes    Salutfeuer    irakischer Bewaffneter    die    Ursache    gewesen    sei    und    deuteten    dies    spöttisch    als    Indiz    für    die Unzuverlässigkeit des irakischen Militärs und die Sinnlosigkeit des ganzen Unternehmens. Insgesamt   bot   die   angebliche   Expertise   der   hier   genannten   Protagonisten   kein   wirkliches Potenzial   für   die   Zukunft.   Immerhin   wäre   es   noch   sehr   interessant   zu   erforschen,   ob   und inwieweit     die     Vorstellungen     etwa     von     Grobba     und     anderen     in     die     Planungen     der bundesdeutschen und amerikanischen Außenpolitik nach 1945 eingeflossen sind. Im   militärischen   Bereich   halten   sich   die   Kontinuitäten   zunächst   einmal   sehr   in   Grenzen   –   zu stark    war    der    Luftwaffe    seit    1955    in    die    NATO    eingebunden.    Immerhin    aber    kann    das Sonderkommando    Junck    als    allgemeine    historische    Folie    für    mobile    Einsatzverbände verwendet   werden,   gewissermaßen   als   eine   Art   militärtechnisch-logistischer   Vorläufer,   so   z.B. für    die    deutschen    Komponenten    der    Allied    Mobile    Force.    Das,    was    allen    deutschen Luftwaffenverbänden    an    der    Südostflanke    im    Zweiten    Weltkrieg    mangelte,    die    logistisch- technische   Komponente,   sollte   auch   nach   1945   das   entscheidende   Problem   bleiben.   Dieses Thema,     die     großen     Distanzen     und     die     damit     verbundenen     gewaltigen     logistischen Schwierigkeiten, besitzt heute wieder Aktualität. Näher    beleuchtet    werden    soll    noch    abschließend    der    kulturell-mentalitätsgeschichtliche Aspekt,   der   insbesondere   in   der   Debatte   nach   1945   eine   zentrale   Rolle   spielte   und   dem heutigen    Betrachter    ein    ausgezeichnetes    Lehrstück    zur    politisch-historischen    Orientierung bietet.     Grobba     betrachtete     nach     Angaben     von     Junck,     Kohlhaas     und     anderen     die Luftwaffenoffiziere   als   technokratische   Militärs,   die   von   den   Menschen   und   den   Möglichkeiten des   Orients   keine   Ahnung   hätten.   Damit   bezweifelte   er   auch   indirekt   die   Kompetenz   der Luftwaffe,   in   ‚höheren’   Dingen   mitzureden.   Seine   eigene   Ausbildung   als   Orientalist   inklusive der   entsprechenden   Sprachkenntnisse,   befähigte   nur   ihn   als   kompetenten   Leiter   jeglicher Aktion. Diesem   Bild   setzten   die   ehemaligen   Luftwaffenvertreter,   soweit   sie   Junck   unterstützten,   nicht nur    massive    Kritik,    sondern    auch    offen    Hohn    und    Spott    entgegen    (Bezeichnung    als „Arabomane“).    Grobba    habe    seinerseits    nichts    von    den    mentalen    Strukturen    der    Araber begriffen,   wenn   er   meine,   er   könne   mit   einigen   diplomatischen   Vertretern   und   zwei   Staffeln   an Einsatzflugzeugen   eine   ganze   Region   in   Aufruhr   versetzen   und   dann   auch   noch   kontrollieren. Kohlhaas,   der   im   Jahre   1989   quasi   als   Ersatz   für   Juncks   geplantes   Buch,   das   nie   erschien, sein     eigenes     Werk     veröffentlichte     und     damit     einen     gewissen     Schlusspunkt     setzte, veranstaltete zeitweise eine Art verbales Dauerfeuer gegen Grobba. Immer   wieder   bezichtigte   er   ihn   als   realitätsfernen   Träumer,   der   sich   als   ‚deutscher   Lawrence von   Arabien’   aufspielen   wolle.   Insonderheit   warf   er   ihm   auch   vor,   auf   der   Ebene   der   Romane von   Karl   May   stehen   geblieben   zu   sein.   Dessen   literarische   Protagonisten,   insbesondere   der berühmte   Kara   Ben   Nemsi   Effendi,   der   ja   als   gewandter   Supermann   in   die   Geschicke   der kurdischen   und   arabischen   Stämme   trotz   aller   Widrigkeiten   und   aller   Gewalt   eingriff,   erinnerte an Grobbas Selbstbild. Diese    und    andere    Vorwürfe    sind    zunächst    einmal    natürlich    als    teils    bewusst    verletzend angelegte   Polemik   zu   verstehen,   die   eine   Art   Geschichtspolitik   und   persönliche   Rechtfertigung in   Gang   setzen   sollten.   Der   Wahrheitsgehalt   von   derlei   ‚Argumenten’   ist   noch   gesondert   zu untersuchen.   Immerhin   aber   besteht   hier   ein   Ansatzpunkt   für   weitere   Forschungen   und   vor allem   auch   eine   kritische   Überprüfung   unseres   heutigen   Standortes   unter   Einbeziehung   der Ergebnisse   der   Forschung,   hier   insbesondere   der   postkolonialistischen   Literatur   seit   Edward Saids Buch „Orientalism“. Abschließend   noch   eine   kurze   Bemerkung   zu   den   methodischen   Perspektiven   der   ganzen Thematik.   Es   ist   evident,   dass   der   Orient   keinen   Kernbereich   deutscher   Militärgeschichte darstellte.   Dennoch   gewinnt   die   Beschäftigung   mit   ihm   zunehmende   Aktualität.   Die   neuesten Ereignisse   in   den   arabischen   Ländern,   inzwischen   bezeichnet   als   der   „arabische   Frühling“, fordern die weitere Erforschung der historischen Dimensionen geradezu. Die   Geschichtswissenschaft   muss   also   ausloten,   welchen   Gehalt   unsere   eigene   Geschichte dazu   aufweist.   Hierbei   besteht   ein   erhebliches   historisches   Potenzial.   Dass   kein   größeres Engagement   bzw.   keine   Eroberungsfeldzüge   unternommen   wurden,   heißt   nicht,   dass   keine Träume   und   Visionen   in   den   Köpfen   vorhanden   waren.   Dass   sich   –   bezogen   auf   die   deutsche Militärgeschichte   –   mit   zwei   Luftwaffenstaffeln   nicht   viel   erreichen   lässt   und   –   unter   der   US- amerikanischen    Perspektive    –    dabei    selbst    mit    größerem    Aufwand    kein    Erfolg    garantiert werden   kann,   zeigen   auch   die   strategischen   Erfolge   und   Misserfolge   der   USAF   im   Irak   seit 2003.   Die   militärgeschichtliche   Aufarbeitung   steht   hier   erst   ganz   am   Anfang.   Sie   wird   hier   in Zukunft    bei    einer    notwendigen    aktiven    Auseinandersetzung    mit    dem    Nahen    Osten    mit einzubinden sein.