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Erinnerung und Gedenken
IIn dieser Sektion sollen die Verarbeitung der Geschehnisse
um den Verlust der Heimat sowie das Gedenken an die
Grausamkeit des Zweiten Weltkriegs am Beispiel der Familie
Lemke dokumentiert werden. Zunächst soll an Herbert Lemke
erinnert werden, der sein Leben wie viele andere junge
Soldaten im Krieg verlor.
Danach ist eine Rede meines Vaters, Hans-Georg Lemke,
zur Goldenen Hochzeit seines Bruder Erhard und seiner Frau,
Justina, wiedergegeben. Sie soll Gedenken und Verarbeitung
mit dem Leben in der neuen Heimat, Oberschwaben, verbinden.
Damit soll auch demonstriert werden, dass diese neue Heimat
mindestens genauso wichtig war und ist wie die alte, verlorene.
Herbert Lemke
Niemand sollte vergessen werden
Eine der wohl schrecklichsten Seiten des Zweiten Weltkrieges war der Massentod.
Junge Soldaten zogen aus und starben einen teils einsamen Tod, eingerahmt von
gleichzeitigem tausendfachem Sterben links und rechts. Der Widerspruch zwischen
dieser Einsamkeit und der schrecklichen Gemeinsamkeit des Sterbens stellt eine der
schlimmsten Erfahrungen auch für die Nachgeborenen dar.
Einer von auf diese Weise Umgekommenen war Herbert Lemke, der ohne Eltern bei
den Lemkes in Schaaksvitte aufwuchs. Außer den Erinnerungen der noch Lebenden
gibt es nur ein Bild. Immerhin gedachte man seiner in Altheim/Do., der neuen Heimat
eines Teils der Lemkes. Im Folgenden sind hier einige Bilder von den Gedenkstätte
eingestellt. Wir hoffen, über die Deutsche Dienststelle in Berlin noch weitere
Informationen über sein Leben zu bekommen.
Goldene Hochzeit von Erhard und Justina Münch
Mai 2008
Rede von Hans-Georg Lemke
Liebe Justel, Lieber Erhard, werte Festgäste!
Fünfzig Jahre Ehe auf einem landwirtschaftlichen Betrieb, der immer so vielseitig war, ist
kein Pappenstiel, sondern bemerkenswert. Der Weg bis hier war nicht immer glatt und
eben, ja zum Teil ganz schön hart gepflastert und mit viel Mühe und Arbeit verbunden.
Hier nun ein kleiner Rückblick aus meiner Sicht, eine Kurzfassung. Am 28. August 1948
kamen wir, die Flüchtlinge aus Ostpreußen, in Altheim an. Wir erkundigten uns nach
unseren Verwandten, nach der Familie Frieda Lemke. Man wollte uns dies auch erklären,
aber wir verstanden kein Wort. Der schwäbische Dialekt war für uns damals schlimmer als
Russisch. Im Unterdorf, im Jauzerhaus, das der Familie Kohler gehörte, fanden wir sie.
Unser Vater war auch schon aus russischer Gefangenschaft hier. Es war eine große
Überraschung, als wir hereinplatzten. Sie saßen gerade beim Kaffee, da die Tante Frieda
an diesem Tage Geburtstag hatte. Das kleine Haus war nun voll bis unter das Dach.
Insgesamt waren es 14 Personen, wir wurden freundlich aufgenommen.
Kaum waren wir sesshaft geworden, begann Erhard, seine Fühler auszustrecken. Siehe
da – er hatte schon wieder etwas entdeckt. Im Gemüsegarten des ‚unteren’ Müllers, Anton
Huber, gleich neben der Hofeinfahrt stand ein großer Apfelbaum mit Frühäpfeln. Jeden
Morgen in aller Frühe schlich er sich aus dem Haus, um die gefallenen Äpfel
aufzusammeln. Was er nicht wusste: Müller Huber war meistens auch schon wach und
beobachtete ihn, unternahm jedoch nichts. Erst Jahre später erzählte Anton Huber mit
dies. Er dachte: der Bursche hat Hunger, er soll die Äpfel haben. Ich persönlich finde dies
eine schöne Geste von Herrn Huber.
Erhard war, als wir ankamen, bereits aus dem Schulalter herausgewachsen, so suchte
Vater für ihn einen Arbeitsplatz. Durch unsere Verwandtschaft erfuhr er dann, dass der
Birkenbauer Ludwig Münch in Waldhausen einen neuen Gehilfen brauchte, denn der
bisherige, Ralf Köberle, ein Freistilringer aus Freiburg, so ein wichtiger „Butzer“, wollte
zurück nach Freiburg.
Vater und Erhard haben sich bei Ludwig und Therese Münch vorgestellt. Die Nachbarn
haben gleich getuschelt, als sie Erhard, diesen schmalen Hecht, sahen: „Was, das soll der
neue Knecht sein? Ob dies wohl gut geht?“ Sie kannten diesen jungen Mann nicht. Sie
wussten ja nicht, wie viel Energie in diesem jungen Mann steckte.
Erhard hat sich gut eingelebt, bekam genug zu essen, wurde gut behandelt, von Frau
Münch gehegt und gepflegt. Ich selbst ging noch in Altheim zur Schule, habe aber in der
Freizeit und in den Ferien auf diesem Hof bei der Ernte mitgeholfen und im Herbst das
Vieh gehütet.
Ich habe diesen Hof kennengelernt, hier kannte man keinen Schlafwagen. Hier wurde hart
angepackt, auf schwäbisch: hier hat man naglanget an d’Arbet. Es gab hier noch
ungeschriebene Tageszielvorgaben. Der Blick ging immer nach vorn.
Das Getreide wurde mit dem Ableger gemäht. Es dauerte nicht lange, dann wurde ein
Bindemäher gekauft. Diese Maschine hieß Fella-Pony. Es ging damit gut, solange das
Getreide gut stand. Kam jedoch Lagerfrucht, wurde es schon schwieriger, mit den langen
Rechenstielen haben wir das Getreide aufgerichtet.
Die Arbeit auf dem Hof hat Erhard zugesagt, vor allem das Pflügen mit dem Wendepflug.
Er beteiligte sich am Wettpflügen, damals noch mit dem Pferdegespann. Er war
erfolgreich: Sieger im Bezirk, Sieger im Landesentscheid. Beim Bundesentscheid in
Flensburg, mit seinem eigenen Wendepflug, den er mit der Bahn hochschickte, wurde er
Zweiter Bundessieger.
Erhard besuchte dann die landwirtschaftliche Winterschule und legte die Gehilfenprüfung
ab. Er übernahm dann den Posten des Molkerechners und wurde auch staatlich geprüfter
Baumwart. Er war fleissig, in seinem Alter regten sich nun auch die Gefühle für das
andere Geschlecht. Die Zuneigung zu seiner Nachbarin Justina Buck war alsbald nicht
mehr zu übersehen. Justel arbeitete bei dem Kleinbauern Norbert Schölldorf. Um sein
Interesse kundzutun, steckte er ihr in der Maiennacht einen stattlichen Maien in den
Kamin. Ich durfte ihm dabei helfen – welche Ehre!
Weil Münchs selbst keine Nachkommen hatten, versuchten sie Jungen aus der
Verwandschaft für den Hof zu interessieren, was allerdings fehlschlug. Da kam ihnen dann
eine ganz andere Idee. Erhard kam als Nachfolger ins Gespräch. Um dies in die Wege zu
leiten, wurde er dann als Kindesstatt angenommen, also adoptiert. Er war zu diesem
Zeitpunkt schon volljährig.
Diese Kunde wurde in unserer Familie nicht unbedingt mit Wonne aufgenommen, ja man
war zum Teil richtig dagegen. Gegen die Entscheidung von Erhard konnte jedoch nichts
ausgerichtet werden.
Schließlich legte er auch noch die landwirtschaftliche Meisterprüfung mit ganz gutem
Erfolg ab, wurde schließlich noch zum Preisrichter für das Wettpflügen bestimmt und
schließlich in die Prüfungskommission für Gehilfen- und Meisterprüfungen bestellt.
Wie man sieht, aus dem schmächtigen Nachfolger von Rolf Köberle, dem Freistilringer
aus Freiburg, war ein erfolgreicher Jungbauer geworden. Man hat zu ihm aufgeschaut.
Er war ein Aushängeschild für den Hof Münche und für Waldhausen geworden. Und
woher kam dies alles? Er hat eben nicht im Schlafwagen gesessen, sondern zugepackt,
eben naglanget hat an die Arbeit.
Mit der Justel als Ehefrau, hat er schon einen Volltreffer gelandet. Sie war und ist immer
noch eine Vollblutbäuerin. Aus der Ehe entstanden vier Kinder, neun Enkelkinder und
auch schon zwei Urenkel. Zur Erweiterung freigegeben!
Ja, und nun sitzen wir alle hier und feiern die Goldene Hochzeit mit Justel und Erhard. Wie
schön für uns alle.
Aber, es gab ja auch eine Zeit vor dem 28. August 1948.
Erhard wurde 1932 in Schaaksvitte in Ostpreußen geboren. Das Dorf zählte damals ca.
600 – 650 Einwohner und lag ca. 30 Kilometer von Königsberg entfernt. Wir hatten eine
direkte Verbindung zur Hauptstadt der Provinz Ostpreußen und des Kreises Samland
durch eine Schmalspurbahn, die bei uns endete. Zum Dorf gehörte das Gut Bökenkampf.
Es gab einige Handwerksbetriebe, darunter auch unsere Schreinerei, zwei Tante-Emma-
Läden, einen Bäcker, zwei Gasthöfe, den Roten und den Weißen Krug, eine Schule, einen
Fischhändler und zahlreiche Fischer.
Das Kurische Haff ist ein fischreiches Süßwasser. Gefischt wurde mit Netzen.
Hinausgefahren zum Fischen ist man mit Segelschiffen, den sogenannten Kurenkähnen.
Jeder Kahn hatte auf dem Mast einen Kurenwimpel. Dieser zeigte durch Form und Farbe,
in welchem Hafen der Kahn zu Hause war.
Im Winter war das Haff zugefroren. Wir konnten Schlittschuhlaufen, so weit das Auge
reichte. Im Sommer gings zum Baden an den wunderschönen Strand.
Im Sommer kamen auch die Königsberger mit der Bahn zum Badestrand. Es gab auch ab
und zu eine Tanzveranstaltung. Die jungen Herren aus der Stadt tanzten dann mit den
Schipper-Marjelchen. Dabei kamen die Unterschiede von Land und Stadt manchmal
humorvoll zu Tage. Einer sagte mal zu seiner Auserwählten: „Fräulein, Ihre Schönheit reizt
mich“, worauf das Mädchen auf Platt antwortete: „Na, ma Herrke, beschiete Se sich man
nich’.“
Mit dem Angriff auf die Westerplatte in Danzig begann dann das große Unheil, der Zweite
Weltkrieg. Unser Vater hatte einen LKW der Marke Opel Blitz. Dieser war von der
Wehrmacht gemustert worden, so dass er sofort 1939 einrücken musste. Nach und nach
wurden auch die Gesellen der Tischlerei eingezogen und bald der ganze Betriebe
eingestellt. Als dann die Rote Armee infolge der Niederlagen der deutschen Truppen im
Osten 1944/45 das Reich angriff, begann der Anfang vom Ende. Schon 1944 kamen
Flüchtlinge aus den nordöstlichen Grenzgebieten zu uns und im Januar 1945 mussten wir
selbst unser Dorf verlassen.
Unser Onkel Hans war Bürgermeister von Schaaksvitte. Als die letzte Einheit der
Wehrmacht, eine Sanitätsabteilung abrückte, schickte er uns mit dieser nach Cranz und
Garbseiden mit. Hier war die jüngste Schwester unseres Vaters auf einem Hofgut
verheiratet. Das Gut Pustlauk lag an der Bernsteinküste. Hier ereilte uns unser Schicksal.
Die Rote Armee rückte immer näher. Die Front wurde dann noch einige Tage hinter Cranz
gehalten. Hier tobten noch schwere Kämpfe. Die Wehrmacht versuchte mit erbittertem
Widerstand noch einen Brückenkopf zu halten, um noch vielen Flüchtlingen und
verwundeten Soldaten die Überfahrt von Pillau aus zu gewährleisten. Für viele aber führte
auch das in den Untergang. Die Gustloff und die Karlsruhe wurden in diesen Tagen
torpediert und sanken mit tausenden von Menschen.
Bei uns überrannte die Rote Armee nun rasch das Gebiet.
Meine Mutter war hochschwanger und stand kurz vor der Entbindung. Als es soweit war,
gab es keinen Arzt und keine Hebamme. Die Frauen haben das Kind abgenabelt. Es war
ein Junge, der aber kurz danach gestorben ist. In der selben Nacht brannte auch noch die
Scheune und der Stall ab.
Gegen Morgen stürmten die Russen das Wohnhaus mit dem Gewehr im Anschlag und
aufgepflanzten Bajonetten. Sie suchten überall deutsche Soldaten. „Wo ist deutsch Soldat,
wo ist deutsch Soldat?“ riefen sie andauernd.
Nun begann für uns die Hölle. Gegen Morgen wurde wir alle rausgeworfen. Es lag hoher
Schnee, war bitter kalt. Wir rannten um unser Leben. Von hinten flogen uns die Kugeln der
Deutschen, von vorne die Kugeln der Russen um die Ohren. Wir befanden uns zwischen
den Fronten. Von der Ostsee her kamen laufend verwundete russische Soldaten. Sie
waren mit Blut verschmiert und nur notdürftig verbunden.
Wir suchten schließlich im Schilf der See Deckung, und hier blieben wir eine ganze Nacht.
Als das Ärgste vorbei war, bezogen wir ein Haus in Garbseiden. Die deutsche
Zivilbevölkerung wurde nun zum Freiwild. Es begannen die Plünderungen und die
Vergewaltigungen. Die Frauen und Mädchen waren zu keinem Zeitpunkt vor den brutalen
Russen sicher.
Dann zogen wir weiter in Richtung Cranz. Was uns auf dem Weg dorthin erwartete,
spottet jeder Beschreibung. In diesem Abschnitt hatte die Wehrmacht die Rote Armee
noch einige Zeit aufgehalten und so lagen dort massenweise gefallene Soldaten, Russen
und Deutsche. Keiner der Toten hatte man einen Schuh oder Stiefel an.
In Cranz angekommen, bezogen wir ein Haus für uns allein. In den Kellern der
verlassenen Gebäude war noch genug Essbares zu finden. Wir Buben schaffen alles
heran. Bruder Dieter kam mit einem Karton voller Sirupgläser an, übersah, dass die
Kellerfalle noch offen stand und flog die Treppe hinunter. Zum Glück ist nichts weiter
passiert.
Im Frühjahr 1945 wurden dann alle deutschen Frauen, Kinder und Senioren zu einem
Sammelplatz getrieben. Wir mussten zu Fuß in Richtung Russland marschieren und zwar
jeden Tag ca. 10 – 15 km. Die Alten, die nicht mehr mithalten konnten, bekamen mit dem
Gewehrkolben eins übergezogen und blieben dann einfach liegen. Unsere Gruppe*
konnte sich während einer Nachtruhe absetzen, ohne dass die Begleitposten etwas
merkten. Dadurch sind wir in Ostpreußen geblieben und haben wahrscheinlich auch unser
Leben gerettet.
Wir zogen dann nach Postnicken weiter, lebten einige Zeit im Stall auf dem Hof mit
Metzgerei der Familie Penk. Die älteste Schwester unseres Vaters war hier verheiratet
gewesen.
Unsere Mutter war schwer krank. Sie verstarb im Sommer 1945. Wir beerdigten sie im
Gemüsegarten, weil wir nicht zum Friedhof konnten. Die Trauer um den Verlust unserer
Mutter war groß. Wir Kinder waren ja erst zwischen 6 und 12 Jahre alt.
Aber es musste weitergehen. Zum Glück hatten wir unsere Tante Grete. Sie hielt ihre
schützende Hand über uns. Sie sorgte für uns und schleppte alle durch diese schlimme
Zeit. Was die Tante für uns geleistet hat, ist mit Worten nicht auszudrücken. Diese
Leistung ist mit dem größten Schatz der Welt nicht aufzuwiegen. Wir sind ihr heute noch
dankbar.
Bruder Erhard war auch erst 13 Jahre alt. Er war eine Art Leittier für uns geworden. Ja,
man kann fast sagen, er war eine Art kleiner Vaterersatz. Den Überlebenskampf hatte er
sofort angenommen. Organisieren war sein besondere Stärke. Durch Fischfang, Beeren
sammeln, Vogelnester ausnehmen u.s.w. hielten wir uns über Wasser.**
Erhard musste auch für die Russen arbeiten, unter anderem Getreide mit dem
Pferdefuhrwerk zum Sammellager bringen. Hier tat sich natürlich eine Quelle zum
„Zapzerapp“, d.h. zum Abzweigen von Lebensmitteln, auf. Zapzerapp bedeutet auf
Russisch „entwenden, stehlen“.
Tante gab Erhard kleine Säckchen mit, die er dann füllte und in einem Busch versteckte.
Die Säckchen haben wir dann bei Nacht geholt. Einmal wurde er erwischt und bekam
richtige Prügel. Doch egal – am nächsten Tag wurde wieder „Zapzerapp“ gemacht. Wir
sind Erhard zu großem Dank verpflichtet.
Am schlimmsten war der Winter 1946/47. Es gab kaum etwas zum Beißen. Erhard wurde
krank und bekam Wasser in die Beine, das schon bis zum Bauch hochging. Im Frühjahr
1947 haben wir die neuen Knospen der Linden abgepuhlt, Kräuter und Brennesseln in
Wald und Wiese gesammelt usw. Tante hat dies dann zubereitet. Und siehe da, die
Wassersucht bei Erhard ging zurück.
Unsere Tage waren schließlich gezählt. Nachdem die Siegermächte auf der Potsdamer
Konferenz von 1945 entschieden hatten, die Ostgebiete abzutrennen und die deutsche
Bevölkerung von dort zu vertreiben, war unser Schicksal und das aller Ostpreußen, soweit
sie am Leben geblieben waren, besiegelt. Die Regierung der Ostzone stellt 1947 einen
Antrag an die Sowjets, man möge doch die verbliebenen Deutschen aus dem
Königsberger Gebiet in die Ostzone schicken. Dem wurde stattgegeben.
Ende 1947 wurden alle per LKW nach Königsberg gebracht, in Viehwaggons gepfercht,
die dann verplombt wurden. Für die Notdurft gabes nur einen Eimer. Dieser war dann
auch mal voll. Der Inhalt wurde durch das kleine vergitterte Fenster gekippt, und ein Teil
schwappte wieder herein. Es war einfach eklig.
Von Berlin aus kamen alle zuerst in ein Auffanglager nach Dessau. Von dort dann in den
Kreis Stendal, in das Dorf Großschwarzlosen. Hier gingen wir auch wieder zur Schule.
Die Familie Frieda Lemke und Onkel Hans, unsere Verwandten, waren aus Dänemark ins
Schwabenland nach Altheim gekommen. Unser Vater hat sich nach seiner
Gefangenschaft auch nach hier abgesetzt.
1948, nach der Währungsreform, bekamen wir von hier die Zuzugsgenehmigung und
Mittel. Wir entschlossen uns, aus der Ostzone abzusetzen, weil keiner wusste, ob wir
überhaupt jemals herauskommen würden, wenn wir weiter warteten. Glücklicherweise
kamen wir alle über die Grenze. Danach nahmen wir die Bahn über Ulm nach Riedlingen.
Der Kreis hat sich damit geschlossen.
Diese meine Ausführungen sind nur ein kleiner Teil dessen, was wir in diesen dreieinhalb
Jahren mitgemacht und erlebt haben. Es gäbe noch sehr viel zu berichten.
Hier im Schwabenland haben alle eine neue Heimat gefunden. Wir sind dankbar
Bitte nehmen Sie alle ihr Glas, wir stoßen an auf das Goldene Hochzeitspaar. Auf dass
ihnen noch einige Jährchen beschieden sind.
Prost!!
* Die Gruppe zwischen Garbseiden und Postniken war:
Tante Elsbeth Pustlauck mit Fredi und Erika, ihre Kinder
Tante Marta Penk
Tante Grete
Unsere Mutter
Erhard
Dieter
Ilse
Hans-Georg
Insgesamt ca. 10 Personen
In Postniken wurden Tante Elsbeth und ihre Tochter Frieda in einen Treck nach Sibirien
verschleppt. Fredi kam in ein Jugendlager, aus dem er immer wieder ausgerissen ist. Er
kam dann aber auch Ende 1947 mit uns in die Ostzone und dann später nach Altheim.
** Anm. des Hrsg.: Viele der Städter, die es infolge der Kriegswirren in den Kreis Samland
verschlagen hatte, waren für den Überlebenskampf nicht gut vorbereitet und verhungerten
in teils erschütternder Weise. Das ganze Ausmaß des menschlichen Leides wird wohl nie
wirklich aufgeklärt werden können. Die menschliche Seele verdrängt viele der erlebten
Schrecken. Die Nachgeborenen und die Historiker werden daher niemals die
Geschehnisse bis ins Letzte aufklären können. Vielleicht ist dies auch besser so. Das, was
wir von Ereignisse wissen, reicht aus, um Diktatur und Krieg, aber auch deren Ursachen
(u.a. Hass, Angst und Rassismus), nie wieder zuzulassen.