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Geschichte bis 1944
Schaaksvitte von Anbeginn
(Herbert Laubstein)
Das Fischerdorf Schaaksvitte (heute Kaschirskoje) befindet
sich am Südufer des Kurischen Haffes, etwa 15 km östlich
des Ostseebades Cranz (heute Selenogradsk). Schaaksvitte
war einer der größeren Orte am Kurischen Haff. Die Gemeinde
hatte vor 1945 etwa 700 Einwohner.
Urkundlich wird Vitte (Schaaksvitte) bereits im 13. Jahrhundert
im Zusammenhang mit dem Deutschen Ritterorden und der
Ordensburg in Soke (Schaaken) erwähnt. Vitte (Schaaksvitte)
diente dem Ritterorden als Hafen und für den Fischhandel.
Die von Memel über das Kurische Haff verkehrenden Frachtboote
legten in Vitte (Schaaksvitte) an.
Die Beek, ein Fluss, trennt den Ort quasi in zwei Teile. Die
anfangs existierende Holzbrücke wurde im Jahre 1928 durch
eine Betonbrücke erneuert und macht den Ort zu einer Einheit.
Die Bewohner des Dorfes waren vorwiegend Fischer, die teilweise im Nebenerwerb noch
Landwirtschaft betrieben; dies waren die sogenannten Fischerwirte. Der einzige
landwirtschaftliche Betrieb im Dorf gehörte dem Bauern Bökenkamp.
(Als zusätzliche Information vgl. die handschriftliche Skizze zum Häuserbestand in
Schaaksvitte hier)
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Gewerbetreibende in Schaaksvitte/Ostpreußen 1902
(Die Angaben als Vergleich und Perspektive 1902 - 1928).
aus:
Deutsches Reichs-Adressbuch für Industrie, Gewerbe und Handel, 1902-1903, 1. Band
Schaaksvitte; Kreis Koenigsberg 777 Ew.
Baecker: MUELLER,A.
Brennmaterialien: WINKLER,Fritz
Fischhdlg.: KARPOWITZ,S.; KUHR,Fr.
Gasthoefe: PIEPER,Arthur
Gm.-waren: MARAUHN,G.; PIEPER,A.
Muehlen: WIECHERT,A.
Sattler& Riemer: ROEHL,L.
Schmiede: GRUENHOFF,A.
Schneider: LEMKE,G.
Schuhmacher: BOEHM,A.; KOMNING,H.; NEWGER,K.
Tischler: LEMKE,F.
Gewerbetreibende in Schaaksvitte 1902
Das Verdienst für diesen 'Exkurs' gebührt Viktor Haupt
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In Schaaksvitte gab es 1928 zwei Gastwirtschaften. Eines war der "Rote Krug" mit
Fremdenzimmern und auf der gegenüberliegenden Beekseite der "Weiße Krug". Die
Besitzer bzw. Inhaber beider Krüge betrieben neben dem Ausschank noch etwas
Landwirtschaft. Im Gegensatz zum "Roten Krug" hatte der "Weiße Krug" einen größeren
Saal, in dem an den Wochenenden Tanzveranstaltungen und Filmvorführungen
(Wanderkino) stattfanden.
Insgesamt gab es in Schaaksvitte 48 Fischereibetriebe.
Die angelandeten Fische - das Kurische Haff war eigentlich sehr fischreich - wurden
entweder beim Fischhändler (Naudith/Gomm oder Kirschner) direkt oder auf dem
Fischmarkt in Königsberg verkauft. Ferner fuhr oder ging man zu Fuß landeinwärts, um die
Fische, die frisch oder geräuchert waren, an die Bewohner der Nachbarorte zu verkaufen
oder gegen Naturalien einzutauschen.
Die Volksschule in Schaaksvitte hatte drei Klassen. Diese Schule besuchten auch die
schulpflichtigen Kinder der Nachbarorte Sand, Eythienen und Wesselshöfen.
Die beiden ortsansässigen Tischlereien (Minuth und Lemke) bekamen ihre Aufträge u.a.
auch aus den umliegenden Ortschaften.
Im Dorf waren drei Kolonialwarengeschäfte (Lemke, Kornning, Borchert). Außer Textilien
konnte man hier fast alles von Petroleum bis zur Spalttablette kaufen.
Die Poststelle (Lemke/Schmohr) war auch für die Nachbarorte Sand Eythienen und
Wesselshöfen zuständig. Die Postzustellung zu diesen Orten erfolgte durch den Briefträger
per Fahrrad.
Für den Fischfang waren
15 Keitel- oder Kurrenkähne,
8 Großgarnkähne und
50 Hand- und kleine Segelkähne
eingesetzt.
Unser Dorfbäcker Thulke fuhr neben seinem Ladenverkauf mit einem Pferdewagen übers
Land und verkaufte auch dort seine Backwaren.
Die Mühle des Mühlenbesitzers Hinuth stand außerhalb des Dorfes, kurz vor Eythienen.
Eindmals war es eine Windmühle, die später elektrisch betrieben wurde.
Die ärztliche Versorgung der Dorfbewohner erfolgte durch Herrn Dr. Brettschneider, der
seine Praxis in Liska-Schaaken hatte. Dr. Brettschneider war der Landarzt für alle
umliegenden Ortschaften. Sofern Krankenhausbehandlungen erforderlich wurden,
erfolgten diese in den Krankenhäusern in Königsberg.
Schaaksvitte war Endstation der Königsberger Kleinbahn. Die Fahrstrecke betrug 30 km
und endete am Königstor in Königsberg.
Der Huf- und Dorfschmied (Kirschner) hatte überwiegend, durch die Gehöfte im Umland
(Pferdebeschlag) reichlich zu tun.
Die Fahrtdauer betrug zwei Stunden. Für die Hin- und Rückfahrkarte für Erwachsene
bezahlte man 2,50 Reichsmark in der 3. Wagenklasse mit Holzbänken.
Die Stromversorgung hatte auch in Schaaksvitte Einzug gehalten. Die Wasserversorgung
hingegen war durch Brunnen-und Pumpenwasser gewährleistet. Für die Notdurft standen
vorwiegend hinter den Häusern kleine Häuschen mit einem Herzchen versehen bereit.
Eigentlich gab es in Schaaksvitte eine intakte Dorfgemeinschaft. Sicherlich spielten die
vielen verwandtschaftlichen Beziehungen dabei eine Rolle.
Die politische "Betätigung" der Bewohner in dar NS-Zeit war eher mäßig. Wirkliche
nationalsozialistische Fanatiker waren in der Minderheit; es gab etwa 12 Parteimitglieder.
Siehe dazu den Aufsatz >>> Die Partei in der Provinz.
Polizeilich wurde neben anderen Ortschaften auch Schaaksvitte von dem Gendarm Hüge
betreut, der in Kirche Schaaken seinen Dienst- und Wohnsitz hatte.
Hier befand sich die aus der Ordenszeit im 14. Jahrhundert erbaute Kirche und dem
dazugehörenden Friedhof. Die Kirche hatte etwa 600 Sitzplätze. Den sonntäglichen
Gottesdienst hielten Pfarrer Glaubitt und Pfarrer Dignat, der später als Seelsorger zur
Wehrmacht einberufen wurde, ab. Zu dem Kirchspiel Schaaken gehörten etwa 36 größere,
kleinere und kleinste Ortschaften.
Der Zweite Weltkrieg
Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges spürte man schon eine soziale Veränderung im Dorf.
Wehrfähige Mänder wurden zu den verschiedensten Waffengattungen einberufen. Obwohl
zwischen Russland und Deutschland ein Nichtangriffspakt bestand (Hitler-Stalin-Pakt),
fürchtete man angesichts des immer stärker werdenden Aufmarsches deutscher Truppen ,
dass es dennoch zu einem Krieg gegen Russland kommen würde, was dann leider auch
geschah.
In der Zeit des Zweiten Weltkrieges waren bei Familien, die größeren Wohnraum besaßen,
fast immer Soldaten der Wehrmacht einquartiert.
Im Sommer 1944 kamen die ersten Flüchtlinge mit Pferdewagen aus dem Memelland
durchs Dorf, die zum Teil ebenfalls einquartiert wurden oder weiter zogen. Dies war ein
Signal dafür, dass die Front näher kam. In der Zeitung oder im Radio las oder hörte man
nie von einem Rückzug deutscher Truppen, sondern nur von Frontbegradigungen.
Anfang Januar 1945 vernahm man, dass auch die Bewohner des Ortes Schaaksvitte
flüchten müssen. Täglich zogen immer mehr Flüchtlingswagen aus den östlichen
Nachbarorten durchs Dorf.
Mitte Januar 1945 wurde der Schulbetrieb eingestellt. Von weit her hörte man auch schon
Geschützdonner. Die Lage wurde für die Bewohner bedrohlich.
Die Flucht
Am 25. Januar kam der Räumungsbefehl auch für Schaaksvitte. Die Lage war chaotisch,
weil nichts organisiert war. Nicht jeder wollte fliehen, zumal man nicht wahrhaben wollte,
dass die sowjetischen Soldaten so hasserfüllt sein würden, wie von der Propaganda
gesagt wurde. Dennoch sollte es grausam werden. Ein Teil der Dorfbewohner wurde von
einer abrückenden Sanitätskompanie mitgenommen, andere wiederum, insbesondere die
Kinder, wurden mit dem Omnibus bis nach Cranz gefahren, von wo aus sie weiter in
Richtung Rauschen zogen.
Die Nacht vom 26. auf den 27. Januar 1945 war gespentisch. Ältere und Kranke hielten
sich noch im Dorf auf. Es mag gegen 13.00 Uhr des 27. Januar 1945 gewesen sein, als
auch unsere Familie sich auf die Flucht machte. Etwa eine Stunde später sind sowjetische
Soldaten in Schaaksvitte eingerückt.
In Schaaksvitte sowie in den Nachbarorten haben keine Kampfhandlungen stattgefunden.
Lediglich im Geräteschuppen der Schule war auf der Ostseite eine Granate eingeschlagen.
Ansonsten waren die Häuser des Ortes unversehrt geblieben.
Über das Schicksal der Menschen, die im Ort verblieben sind und über das Schicksal
meiner und anderer Familien unter sowjetischer, militärischer Gewaltherrschaft von 1945
bis zur Vertreibung im Jahre 1948 werde ich im Rahmen dieser homepage gesondert
ausführlich berichten. Siehe dazu >>> Die letzten Jahre am Kurischen Haff.
Im Jahre 1946 wurden die ersten Zivilrussen in Schaaksvitte angesiedelt. Diese Menschen
aus Russland, die auch nur wenig Hab und Gut mitbrachten, hatte man nach Ostpreußen
mit Versprechungen gelockt, die von der stalinistischen Herrschaft in den meisten Fällen
nicht eingehalten wurden. Die Enttäuschungen dieser Menschen waren groß.
Ausweisung und Vertreibung der Deutschen
Nach einem Befehl des Innenministers der UdSSR aus dem Jahre 1947 Nr. 001067 waren
die Deutschen aus dem Königsberger (Kaliningrader) Gebiet in die Sowjetische
Besatzungszone (SBZ) auszuweisen. Der nördliche Teil Ostpreußens war gemäß den
Verträgen der Siegermächte der UdSSR verwaltungsmäßig unterstellt worden.
Wiedersehen mit der Heimat
Die Ausweisung und Vertreibung der Deutschen begann im Jahre 1947. Es sollte
verhindert werden, dass sich kein Deutscher mehr im dortigen Gebiet aufhielt.
Ausweisungen von Deutschen, die sich in den Hungerjähren 1946/47 nach Litauen
begeben hatten und dort später aufgespürt wurden, weil die baltischen Staaten sowjetische
Teil-Republiken geworden waren, wurden teilweise später (ich beziehe mich hierbei auf die
sogenannten „Wolfskinder“) ausgewiesen. Die Vertreibung der Deutschen aus
Schaaksvitte und somit aus dem nördlichen Teil Ostpreußens war offiziell Ende 1948
abgeschlossen.
Nord-Ostpreußen wurde von der sowjetischen Armee militärisch strategisch ausgebaut.
Insbesondere der Ostseehafen Pillau bekam eine besondere militärische Bedeutung.
Angesichts des "Kalten Krieges" war das Gebiet militärischem Sperrgebiet. Selbst
sowjetische Bürger durften gewisse Zonen nicht ohne besondere militärische
Genehmigung betreten.
In den 80er Jahren habe ich mehrmals schriftlich versucht, eine Genehmigung für den
Besuch meiner Heimat zu bekommen. Stets erhielt ich die Mitteilung, dass das Gebiet für
Ausländer gesperrt sei.
Die Perestroika brachte dann für die jetzt in Nord-Ostpreußen lebenden russischen
Menschen eine Wende und für die ehemaligen deutschen Bewohner die Hoffnung, die
Heimat aufsuchen zu dürfen.
Obwohl 1990 noch Sperrgebiet, habe ich mit Untersützung russischer Freunde
Nordostpreußen auf Umwegen (Moskau-Riga) zweimal aufgesucht: ein erschreckendes
Wiedersehen, wie ich feststellen musste.
Ab 1991 darf man offiziell als Tourist in das Kaliningrader Gebiet einreisen. Für viele
ehemalige Bewohner ging ein langgehegter Wunsch in Erfüllung, Ich habe mich als
Reiseleiter betätigt, zumal ich der russischen Sprache noch halbwegs mächtig bin.
Das Kaliningrader Gebiet ist nach über 40 Jahren in landwirtschaftlicher Hinsicht nicht
mehr mit dem ursprünglichen Landstrich zu vergleichen. Die ehemals fruchtbaren Felder
und Wiesen sind versteppt, dies zumal die Entwässerung der Felder und Wiesen nicht
mehr funktioniert.
In Schaaksvitte sowie in vielen anderen Ortschaften sind die Häuser dem Verfall
anheimgegeben. Manche Ortschaften existieren nicht mehr. Fragt man sich, warum es so
ist und unterhält man sich mit den jetzt dort lebenden russischen Menschen darüber, erhält
man schnell eine Antwort. Die Sowjetzeit war nur von militärischer Aufrüstung geprägt. Die
Menschen konnten die von Ihnen bewohnten Häuser, sofern Reparaturen anfielen, weder
selbst reparieren noch reparieren lassen, weil es an Material und finanziellen Mitteln
mangelte. Dadurch, dass die Bewohner der Orte oftmals wieder ins Mutterland Russland
zurückgegangen sind, und es somit mehrmals zu einem Bewohneraustausch gekommen
ist, hat sich wohl auch kaum einer für die Instandhaltung der Häuser ernsthaft interessiert.
Die Natur und die Landschaft hat man nicht verändern können. Insbesondere die
romantische Kurische Nehrung sowie die Ostseeküste mit den Badeorten Rauschen und
Cranz laden den Besucher ein. In der Stadt Kaliningrad (Königsberg) sowie in den
Badeorten Swetlogorsk (Rauschen) und Selenogradsk (Cranz) herrscht reger Baubetrieb.
Die jetzt dort lebenden Menschen heißen uns mit russischer Herzlichkeit willkommen.
Persönlich habe ich viele Freunde dort gewonnen. Zuversichtlich für ein gedeihliches
Miteinander stimmt mich insbesondere die junge Generation. Die dort Geborenen sehen
das Gebiet als unsere gemeinsame Heimat. Diskutiert man mit ihnen über die leidvolle
Vergangenheit beider Völker, so hört man, nie wieder darf sich die Vergangenheit
wiederholen.
Die jungen Menschen sind wißbegierig und möchten oftmals viel über die ostpreußische
Geschichte und ihren Menschen wissen. Helfen wir ihnen dabei.